BLACK HOLES AND WISHING MACHINES
ein Text von Björn Vedder
Ena Oppenheimers Ausstellung am Center for Advanced Studies gliedert sich grosso modo in zwei Teile: unten BLACK HOLES, oben die WISHING MACHINES.
Damit sind zwei Problemgebiete verbunden, die die Künstlerin in ihren Bildern untersucht: die Entstehung des Lebens zum einen und seine Durchsetzung und Organisation zum anderen. Eine Kernfrage im Hinblick auf die Entstehung des Lebens ist die, welche Formen das Leben erzeugen – und woher diese Formen kommen? Oppenheimer ist hier von den Überlegungen Hans Peter Dürrs inspiriert, der meinte, dass die Form eine fundamentalere Bedeutung habe als die Materie. „Geist“, sagte der Ästhetiker Max Bense, ist „wesentlich Form“. 1 Oppenheimer greift diese Perspektive in einer Reihe von Bildern auf, wie z.B. ZOON IX (2023), CREATION (2017) oder ZOON III (2014).
Die längliche runde Form, die jeweils eine Bildhälfte dominiert, abstrahiert die Form der Zellen, welche für Oppenheimer wiederum die stärkste Abstraktion der Form des Leben- digen sind. Die längliche Streckung dieser „Zellen“ hat – genauso wie die Vermeidung der Kreisform, die Oppenheimer „zu perfekt“ erscheint – jedoch vor allem formale Gründe, insofern sie sich an den Cut anschmiegt, der alle Bilder der Reihe kennzeichnet. Dieser Cut teilt die Bilder in zwei Hälften und symbolisiert eine Denkbewegung, die Oppenheimer „out of the Box“ nennt. Da wir aber nicht wissen, was sich jenseits dieser Box befindet, in der wir denken, bleibt die andere Hälfte leer. Allein hier und da wachsen einige Haare – auch das ist eine Grundform des Lebens auf Mikro- wie auf Makro-Ebene – in das unbe- kannte Gebiet hinein. Denn „das Leben übersteigt unendlich alle Theorien, die man in Bezug auf das Leben zu bilden vermag“, wie Boris Pasternak einmal bemerkt hat.
Oppenheimer nimmt diese Bewegung in der formalen Gestaltung ihrer Bilder auf, insofern die Kontraste durch den Cut, die auch Kontraste von Hell und Dunkel sind, eine Blick- oder eben Überstiegs-Bewegung des Auges provozieren. Oppenheimer überträgt die Bewegung des Lebens auf die Bewegung der Kunst bzw. die Bewegung in ihrer Betrachtung. Hieran könnten sich Überlegungen über das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst, Studium und Betrachtung anschließen.
Arbeiten wie GOD IS LEFTHANDED (2023) oder THEM (2023) verstärken dieses dynamische Moment, das überhaupt in den neueren Arbeiten deutlicher hervortritt als in den älteren. Der Titel von GOD IS LEFTHANDED spielt auf die Beobachtung an, dass die meisten Aminosäuren linksdrehend sind. Das Bild imitiert diese Drehung mit einem von links oben nach rechts unten verlaufendem Stab, der eine zellenartige Form durchkreuzt. Eine besondere Dynamik erhält das Bild durch den Farbkontrast aus blau und rosa, der auch THEM prägt. Hier taucht die Zellenform erneut auf und vervielfacht durch eine gegenläufige Bewegung die mit dem Farbkontrast erzeugte Dynamik.
Die Farben rosa und blau betten diese Bewegung in größere Zusammenhänge ein, von denen ich einen kunstgeschichtlichen, einen physikalischen und einen theologischen hervorheben möchte.
In der Kunstgeschichte gehören dazu etwa die Arbeiten von Yves Klein, der mit Blau und Rosa zwei gegenläufige Bewegungen beschreibt. Blau ist für ihn nicht nur die Farbe des Himmels, den er, wie eine Anekdote aus seiner Jugend erzählt, als erstes Meisterwerk gerne signiert hätte – „j’allai signer mon nom de l’autre côté du ciel“, sagte er im Sommer 1946 am Strand von Nizza zu seinen Freunden – sondern auch Ausdruck der Bewegung darin, nämlich eines Fluges auf seine „andere Seite“ (l’autre côté du ciel). Es ist ein Flug von der Erde durch das Blau des Himmels ins Nichts, wie Klein später mit einem Zitat aus dem Buch Die Luft und die Traumbilder (1943) von Gaston Bachelard erklärt hat: „Zuerst gibt es nichts, dann gibt es ein tiefes Nichts, dann eine blaue Tiefe.“ Rosa signalisiert für ihn hingegen die gegenläufige Bewegung, von der anderen Seite des Himmels zurück auf diese Seite, vom Absoluten in das Konkrete, vom Immateriellen in das Materielle, vom Geist in den Köper. Es ist die Farbe der Schöpfung aus dem Geist oder dem Nichts. Besonders anschaulich wird das z.B. an Kleins Bild Le Rose du Bleu (1960). Rosa und Blau bezeichnen gegenläufige Bewegungen wie das Einatmen und Ausatmen. Deshalb meinte Klein: „Rosa und Blau sind eigentlich dieselbe Farbe“.2
Die Fernwirkung des Blauen, auf die Klein und Oppenheimer zurückgreifen, entspringt auch einem optischen bzw. physiologischen Phänomen. Wenn wir etwas, das blau ist, fokussieren, entspannen wir die kleinen, ringförmigen Muskeln um die Linse, die dadurch flacher wird. Diese Muskelbewegung „ist die gleiche Bewegung, die nötig ist, um weit entfernte Objekte zu fokussieren. Unser Gehirn steuert das automatisch. Möglicherweise hat es unterbewusst aber eben auch den Effekt, dass wir die Farbe Blau mit Weite assoziieren.“3 Goethe hat das in seiner Farbenlehre (1810) so beschrieben: „Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zurückzuweichen. Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blau gern an, weil es uns nach sich zieht.“4
Rosa ist hingegen eine Farbe der Vereinigung. Wir sehen Farben, indem wir die Wellen- länge des Lichts interpretieren, das auf unsere Rezeptoren trifft, den Blau-Zapfen, den Grün-Zapfen oder den Rot-Zapfen. Sie werden von Licht mit unterschiedlicher Wellen- länge angesprochen und senden dann ein Signal an das Gehirn, das dieses Signal als Farbe interpretiert. Licht mit einer Wellenlänge von 420-490nm z.B. regt den Blau-Zapfen an, der daraufhin feuert und unser Gehirn sagt: „Aha, das ist also blau.“ Licht mit einer Wellenlänge von 650-780nm regt den Rot-Zapfen an. Indem mehrere Zapfen unterschiedlich stark angesprochen werden und unser Gehirn diese Informationen entsprechend verarbeitet, entsteht der Regenbogen in unserem Kopf: violett, blau, grün, gelb, orange und rot. Rosa ist jedoch kein Teil des Regenbogens. Es entsteht, wenn Rot- und Blau- Zapfen zugleich angesprochen werden. Licht, das wir als rosa interpretieren, kommt von den beiden Enden des Regebogens. Es ist ein Licht der Vereinigung.
Das verbindet die poetisch-physikalische Bedeutung von Rosa mit ihrer kunstgeschichtlich-theologischen, insofern Rosa in der christlichen Ikonographie und Kunst als Farbe des Heiligen Geistes und seiner Fleischwerdung in Jesus Christus gilt, was noch bei Klein gesehen werden kann. Oppenheimers Bild STRANGE THINGS, STRANGE PLACES (2016) greift die Verbindung der Farbe Rosa mit der Schöpfung auf: fiat lux.
Der Rosa-Blau-Kontrast ist in Oppenheimers Werken auffällig häufig, auch in den WISHING MACHINES, deren Titel auf ein Konzept von Gilles Deleuze und Félix Guattari zurückgeht und auf eine Arbeit von Marcel Duchamp, die Junggesellenmaschine
(1915ff.). Für Oppenheimer artikuliert sich darin ein kulturell forciertes, unstillbares Begehren. Es entströmt einem unerschöpflichen Prozess, in dem sich Erschaffen und Verbrauchen, Wachsen und Verzehren, Lust und Frustration, Liebe und Tod fortwährend umschlingen. Bilder wie WISHING MACHINE (2023), ENTER NOW (2023) oder ASK ME LATER (2023) spiegeln diese Bewegung in einer freieren und dynamischen Bildsprache wider, die Formen der Avantgarde aufnimmt. Teile davon erinnern auch an Duchamps Großes Glas, in dem dieser seine Idee einer Junggesellen- respektive Wunsch-Maschine umsetzte (Marcel Duchamp, The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass), reconstruction, 1915ff.)
In anderen Arbeiten der Serie kehrt die Struktur der Zelle deutlicher wieder, z.B. AMERICA (2023) oder THIS HOLE IS NOT A HOLE (2023), wodurch die beiden Gruppen miteinander verbunden werden. Die BLACK HOLES und WISHING MACHINES zeigen den engen Dialog von Ena Oppenheimers Arbeiten mit den Wissenschaften. Sie reflektieren grundlegende Fragen der Entstehung und des Vollzugs des Lebens im Medium der Malerei.
Der Publizist Björn Vedder wurde 2008 mit einer Arbeit über Literatur und bildende Kunst an der Universität Bielefeld promoviert. Er ist mit verschiedenen Arbeiten zu Literatur, Kunst und Gesellschaft hervorgetreten; zuletzt mit „Reicher Pöbel. Die Monster des Kapitalismus“.
1 Max Bense, Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik I. Die Mathematik und die Wissenschaften, Hamburg 1946, S. 19.
2 Zit. n. Haley Edwards-Dujardin, Rose. De Botticelli à Christo. Une couleur à découvrir en 40 notices, Vanves Cedex 2021, S.58.
3 Kai Kupferschmidt, Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt, 4. Auflage, Hamburg 2020, S. 83. 4 Goethes sämmtliche Werke, Bd. 35, Beiträge zur Optik. Versuch, die Elemente der Farbenlehre
zu entdecken, Zur Farbenlehre: didaktischer und polemischer Teil, Berlin 1868, S. 287.