E--N--A, was ist „Crazyland“?
Das ist der Überbegriff für meine Arbeiten, für die Phase, in der ich mich gerade befinde. Der Begriff steht als Chiffre für eine Parallelwelt, die ab und zu zu uns durchbricht und versucht, mich einzufangen. Durchaus gewalttätig, brachial, manchmal aber subtil. Es ist schwierig, genau zu beschreiben, was da mit mir passiert, weil es sehr emotional ist.
In vier Bildern mit dem Titel „Trinity“ setzen Sie sich mit den Fotografien von Harold Edgerton, einem Pionier der Hochgeschwindigkeitsfotografie, auseinander. Edgerton hat im Jahr 1945 die ersten Sekundenbruchteile des weltweit ersten Atombombentests in der Wüste von New Mexico in den USA fotografiert? Was hat Sie an diesen Bildern fasziniert?
Ich sammle bis heute alle möglichen Dinge, die mich aus irgendeinem Grund, den ich anfangs selbst noch nicht so genau kenne, von der Form her ansprechen. Besonders interessieren mich Formen, die aus einem Punkt heraus- beziehungsweise in ihn hineindrängen. Die Fotografien der Atombombentests bildeten solche Formen ab und ließen mich meinem Impuls folgen und malen, ohne dass ich hätte sagen können, ob ich eine moralische oder eine politische oder sonst irgendeine Meinung zum Objekt gehabt hätte.
Sie übernehmen die Formen, die in den Fotografien vorgegeben sind. Was passiert dann? Wie entwickeln sich diese Motive weiter?
Die Fotos von Edgerton sind ursprünglich schwarz-weiß. Ich fand es zunächst einmal wichtig, die Bilder aus der Dunkelheit ins Helle zu drehen. Dann wollte ich wissen, wie das mit diesen seltsamen Löchern im Explosionskern funktioniert, mit den Formen, die da heraus drängen. Plötzlich entstand da etwas formal Zartes, das fast wie ein kleines, feines Lebewesen wirkt, sehr unschuldig. Ich habe also erst einmal die Schönheit dieses Gebildes wahrgenommen ohne schon zu erzählen, dass diese Schönheit genau das Gegenteil bewirkt. Die Öffnungen deuten ja an, dass da etwas Düsteres herauskommt, aber es ist eben noch nicht ganz klar, wo es hinführt.
In dem Bild der Atombombe ist ja alles drin. Das Atom als winziges Stück Materie, aus dem etwas Riesiges, etwas Ungeheures entstehen kann, das der Mensch nicht mehr im Griff hat. Durch die helle Farbgebung bekommen diese Motive aber auch etwas Rätselhaftes, Anziehendes.
Die erste Atombombe ähnelt in den ersten Millionstelsekunden ihrer Detonation einem sich in Entwicklung befindenden Lebewesen. Ihre Bestimmung läßt sich aus der äußeren Form nicht ablesen.
So beschreibt Oppenheimer die Explosion als unvorstellbare, vom Menschen kaum zu erfassende Schönheit (heller als tausend Sonnen) und er ist fasziniert von der immensen, aus sich selbst hervorgehenden Energie, die aber gleichzeitig größtmögliches Chaos und Zerstörung bedeutet. Im Moment der Transformation ist keine Wertung möglich.
In every beauty there is evil?
Ja, und umgekehrt.
Die Form ist also der Ausgangspunkt, der Anlass etwas zu malen oder sich auf andere Weise künstlerisch damit zu beschäftigen. Erst in der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Form entsteht in Ihren Arbeiten so etwas wie Bedeutung? Kann man das so sagen?
Ich denke schon. Ich suche nicht nach Inhalten, sondern ich lasse die Inhalte mich finden, indem ich zulasse, nicht sofort zu verstehen, warum mich etwas anzieht. Ich glaube, daß ich auf diese Weise viel mehr erfahren kann. Ich sehe eine eigenartige Form oder eine Spiegelung oder eine Oberfläche, ein Motiv, das mir zunächst keinen inhaltlichen Zugang bietet. Ich fotografiere es, nehme es mit, und erforsche es, befrage meine Neugier, wachse mit ihr und erweitere meine Wahrnehmung. Ein Bild kann dann zu einem Gegenüber werden, das mir z.B. sagt, daß es noch dauern kann, bis ich seine Bedeutung erkenne. Das mich nicht in Ruhe läßt, bis es fertig gewachsen ist und ich fertig gelernt habe. Das Malen und skulpturale Arbeiten ist für mich wie ein Abtasten der äußeren Welt, durch das ich hoffe, das Innere oder das sich daraus Entwickelnde zu finden.
Dann komme ich manchmal an einen Punkt, wo längst Gefundenes fast Vergessenes eine Lücke schließt, und neben der formalen die inhaltliche Ebene schlüssig wird. Dann fügt sich wieder etwas und ich habe das Gefühl, sehr reich zu sein.
Doppeldeutigkeit ist es, was mich aus der Balance bringt und womit ich mich beschäftige. Sie ist der Grund, warum ich überhaupt Kunst mache. Ich könnte auch etwas malen, was eindeutig ist, zum Beispiel könnte ich eine Frucht aufschneiden und sie abmalen. Aber das das ist nicht, wohin es mich zieht. Ich schalte alle Antennen an, auf der Suche nach etwas, das aussieht wie eine Frucht - aber keine Frucht ist.
Wie reagieren die Besucher Ihrer Ausstellungen?
Viele haben diese Doppeldeutigkeit wahrgenommen. Ein nicht nur positives Erlebnis. Meine Bilder wecken auch bedrohliche, unangenehme Gefühle. Man spürt, dass es nicht rein formale Malerei ist. Ob man will oder nicht, man wird eine inhaltliche Ebene spüren. Ob sie einem gefällt oder nicht, sie kommt einem nahe. Da ist ein Flirren.
Die Bilder zeigen Momente der Transformation?
Mich interessieren Übergänge. Der Moment der Transformation.
Ist in der äußeren Form eine Bedeutung ablesbar. Was verbirgt sich unter der Oberfläche. Was ist Oberfläche. Ist Materialität eine Illusion, da auch der härteste Stein zu Staub werden oder flüssig sein kann.
Es sind immer mehrere Ebenen gleichzeitig vorhanden, aber nicht gleichzeitig sichtbar oder wahrnehmbar. Es zeigt sich nur ein Aspekt. Der andere oder die anderen sind zwar vorhanden, aber erst im nächsten oder übernächsten Moment sichtbar.
Die meisten meiner Bilder zeigen den Moment des Übergangs zwischen zwei Stadien. Weder was vorher war, noch was hinterher passiert, ist klar. Das ist mein Thema. Die Auseinandersetzung mit der Doppeldeutigkeit ist das, was mich am Malen fasziniert. Und diese Doppeldeutigkeit nehmen auch die Betrachter meiner Bilder wahr.
Haben Sie bestimmte Künstler oder Kunstrichtungen besonders beeinflusst?
Ernst Jünger. Weil er auch immer tiefer gehen und dabei schonungslos sein wollte. Crazy, oder?
Interview: Stefan Siegfried