BEGEGNUNGEN IM ZWISCHENRAUM – GESPRÄCHE MIT ENA OPPENHEIMER
von Dr. Ingmar Saberi, CAS Researcher in Residence | Mathematical Physics and String Theory
Was ist Zusammenarbeit, und woran misst man ihren Erfolg? In der Wissenschaft finden sich immer mal wieder irreführende Vorstellungen davon: Es geht um Wissen als Gut, als Besitz, und Zusammenarbeit als Tauschhandel. Wir kommen irgendwo zusammen, jeder bringt sein angehäuftes Wissen und seine Ideen, die er so hat, mit. Unsere Haufen sind verschiedenerlei. Dann findet ein Austausch statt, bei dem jeder sich Wissen des Gegenübers aneignen darf. Der Vorgang ist reziprok, es profitieren alle.
Nach dem Schema von Erich Fromm, welches das menschliche Tun grundsätzlich in zwei Modi – nämlich den des Habens und den des Seins – aufteilt, ist diese Vorstellung dem Modus des Habens zuzuordnen. Ich möchte nicht bestreiten, dass es diese Art von Kollaboration gibt, und dass sie auch durchaus von Nutzen sein kann. Aber das Wesen von Zusammenarbeit lässt andere, bessere Vorstellungen zu. Und ihr Erfolg hat wenig mit den üblichen Maßstäben – etwa den aus Kooperationen hervorgegangenen Publikationen im Bereich der Wissenschaft – zu tun. Ein Gespräch oder eine Idee können dauerhaft abfärben, und viel später in ganz anderen Arbeiten nachklingen oder dort erst überhaupt aufkeimen.
Der Wert und die Prägekraft von solchem Austausch steigen mit der Vielfalt der Beteiligten. So sind Begegnungen zwischen Kunst und Wissenschaft, wie zum Beispiel meine Treffen mit Ena Oppenheimer im Vorfeld ihrer aktuellen Ausstellung am CAS, aus denen vorliegende Gedankenzüge entstanden sind, Beispiele kostbarer Zusammenarbeit. Wir sind in unseren Gesprächen herumgestreunt, durch Enas Arbeit und meine eigene Forschung und weit darüber hinaus. Die „Wishing Machines“, die in der Ausstellung am CAS zu sehen sind, rufen zwangsläufig Gedanken über Technik und Wissenschaft hervor. Die Metapher deutet für mich auf den verbreiteten Traum hin, sich vermittels der Technik einen Wunschbrunnen anzufertigen. Damit verweist sie auch auf die seit der Aufklärung überhandnehmende Vermessenheit, mit der wir unser In-der-Welt- Sein – in seiner Konkretheit und Verkörperung – als Last empfinden, das es zu über- winden gilt. So bleibt unsere Ehrfurcht nur noch zwei Gottheiten – der Technik und der Zukunft – vorbehalten; die Welt, die es gibt, gebietet sie nicht mehr.
Für mich wurde im Laufe der Gespräche ein überspannendes Thema sichtbar, das mit dem Begriff des Bildes bezeichnet werden kann. Das Bild steht hier nicht nur für ein konkretes Gemälde oder eine Skizze, sondern auch für die vielerlei abstrakten Bilder, deren wir uns tagtäglich bedienen: das Bild eines Atoms, eines Königs, einer Gemeinschaft, einer Zukunft, eines schwarzen Lochs. Die Arbeit der theoretischen (Natur-) Wissenschaften besteht eigentlich gänzlich aus der Erzeugung und Überarbeitung von solchen Bildern. Sie haben große Kraft, denn durch sie schaffen wir uns Ordnung und lernen die Welt kennen. Aber wir müssen uns gewahr bleiben, dass sie unsere Gedankenwelt mitgestalten. Wir stützen uns auf sie und zwängen unser Verständnis der Welt dabei in die Muster, die sie uns zur Verfügung stellen. Ludwig Wittgenstein sagte: „Ein Bild hielt uns gefangen.“
Ein besseres Bild einer Zusammenarbeit könnte so aussehen: Wir begegnen uns mit dem Wunsch, ähnliche (aber verschiedene) Fragen zu stellen. Unsere unterschiedlichen Erfahrungshorizonte bedingen unterschiedliche Reaktionen. Auf diese Weise unterschiedlich gewappnet, treten wir gemeinsam eine Reise an. Im gemeinsamen Nachdenken über offene Fragen betreten wir Räume, die noch nicht da waren, und erfahren Dinge, die keiner mitgebracht oder auch nur erwartet hatte; sie entstehen überhaupt erst, weil wir reden. Jeder kommt von dieser Reise verändert zurück; wir sind anders, und denken auf andere Weise über die Welt nach.
Mit dieser Vorstellung, die man dem Modus des Seins zuordnen kann, unser Fokus auf Menschen als Subjekte sowie auf das Zwischenmenschliche gelenkt. Wissen wird als Verb, als Tätigkeit verstanden, und Wissenschaft als Begegnung mit, Beziehung zu, und Bewunderung von der Welt. Der Wert einer solchen Zusammenarbeit – wie der einer gemeinsamen Reise – sperrt sich gegen Quantifizierung; es handelt sich vielmehr um eine Änderung des Daseins. So können Begegnungen zwischen Kunst und Wissenschaft (oder zwischen Philosophen und Landwirten) ebenso bereichernd sein, ebenso viele und ebenso tiefgründige Änderungen des Daseins hervorrufen, allen vermeintlichen Gebietsgrenzen zum Trotz.
In Ena Oppenheimers Werken finden sich lange Reihen wiederkehrender Gestalten in stets neuer Abbildung. Formen und Themen, die sich der abstraktesten Ebene der Naturphilosophie zugehörig fühlen, sind ebenso gegenwärtig wie Formen, die an die charakteristischen Züge des Organischen erinnern. Bekanntes Material tarnt sich in Bildern, die schleierhaft auf uns wirken; die danach streben, auf Unerwartetes oder Überraschendes, sogar auf alles hindeuten zu können. Somit rückt der Akt der Begegnung, die Beziehung zwischen Werk und Beobachter, ganz ähnlich wie in der Quantenmechanik, in den Vordergrund.
In einem von unseren Gesprächen hat Ena mir den Wunsch beschrieben, ein Bild zu schaffen, das kein Bild von irgendetwas wäre; das sich von offensichtlichen Deutungen völlig hat loslösen können. Vielleicht ist es überhaupt ein Erkennungsmerkmal von Kunstwerken, dass sie selten klaren Funktionen oder Deutungen zuzuordnen sind; die Unklarheiten, die Fragen, die sich stellen, und doch unbeantwortet bleiben, schützen das Kunstwerk vor der vollständigen Interpretation und lassen in jeder neuen Begegnung neue Deutungen zu. Die Spannung und die Lebendigkeit bestehen gerade in der Unerreichbarkeit der vollkommenen Deutung, des vollständigen Bildes – zusammen mit
der Möglichkeit, Bilder und Deutungen doch immer wieder zu schaffen. In dieser Hinsicht gleicht das gelungene Kunstwerk unserer nicht annähernd erfassbaren Welt.
So betrachtet sind Kunst und Wissenschaft nur verschiedene Äußerungsformen desselben menschlichen Wunsches. Beide sind Reaktionen auf Begegnungen mit der Welt. Beide stellen Versuche dar, Bilder von ihrer Beschaffenheit aus verschiedensten Materialien zu schaffen und so unsere Ehrfurcht vor der Welt zum Ausdruck zu bringen. Beiden wohnt das Staunen inne. Und im Idealfall die „Heilige Unruhe“, wie Johannes Kepler die Aufregung nannte, die sich einstellt, wenn eine Ahnung, ein formloser Gedanke in die Welt tritt, und sich so eine neue Tür öffnet.
Ingmar Saberi ist Postdoc am Arnold Sommerfeld Center für Theoretische Physik der LMU München und im Wintersemester 2023/24 mit einem Projekt zu „Higher Current Algebras“ Researcher in Residence am CAS. Sein Forschungsinteresse gilt der Quantenfeldtheorie.
aus dem Katalog zur Ausstellung "Ena Oppenheimer – BLACK HOLES AND WISHING MACHINES", Center for Advanced Studies der LMU München, Wintersemester 2023/24